Moderne Treibladungen müssen heute eine Reihe von verschiedenen Anforderungen erfüllen. Neben der langfristigen Verfügbarkeit und REACH-Konformität der Rohstoffe muss die Munition in verschiedenen Klimazonen über ihre gesamte Einsatzdauer sicher und zuverlässig handhabbar sein. Zu den neuen Rahmenbedingungen gehört auch eine stark erhöhte Bedrohungslage. Daher ist eine geringe Empfindlichkeit der Treibladung gegenüber äußeren Angriffen erforderlich. Ziel unserer Forschungsarbeiten ist die Entwicklung von neuen verbesserten Treibladungssystemen für verschiedene Anwendungen. Dabei liegt der Fokus auf leistungsstarken Treibladungen mit geringer Empfindlichkeit, temperaturunabhängigem Abbrandverhalten, geringer Erosivität, guter Langzeitlagerstabilität und möglichst keiner Materialversprödung bei tiefen Temperaturen, aber einsetzbar in einem großen Kaliberbereich.
Klassische Treibladungspulver auf Basis Nitrocellulose
In diesem Bereich stehen mehrere Mischer und Kneter in verschiedenen Größen zur Homogenisierung der Pulvermassen zur Verfügung. Die Verarbeitung zu Treibladungssträngen erfolgt über das Strangpress- und Extrusionsverfahren. Es stehen Strangpressen mit verschiedenen Topfgrößen zur Verfügung. Auch eine Verarbeitung im PoL-Verfahren (Pulver ohne Lösemittel) ist mittels einer Scherwalze möglich.
Bei der Entwicklung neuartiger Treibladungspulver wird ein besonderes Augenmerk auf die Auswahl der Komponenten und deren Verarbeitung gelegt, um den gesteigerten Anforderungen gerecht zu werden. So werden unter Einsatz neuer energetischer Komponenten wie z. B. Weichmachern und kristallinen Energieträgern in unterschiedlicher Hinsicht leistungsgesteigerte Treibladungspulver entwickelt. Auf dem Gebiet der konventionellen Treibladungspulver ist es gelungen, Treibladungspulver für den Mittelkaliberbereich auf Basis von Nitrocellulose und dem energetischen Weichmacher DNDA-57 (DNDA: Dinitro-Diaza-pentan, -hexan und -heptan) zu entwickeln, die neben einem temperaturunabhängigen Abbrandverhalten eine geringe Empfindlichkeit aufweisen. Ebenso zeigen diese TLP beim Beschuss bei hoher Leistung eine geringe Erosion. Die Langzeitlagerstabilität dieser TLPs ist im Vergleich zu eingeführten Treibladungspulvern erheblich besser.
Die herausragende Eigenschaft dieser neuen Pulver ist das nahezu temperaturunabhängige Abbrandverhalten. Im Gegensatz zu konventionellen Pulvern zeigen sie mit zunehmender Umgebungstemperatur keine bzw. nur gering steigende Abbrandraten. Mit den neuartigen DNDA-TLPs ist damit eine Leistungssteigerung möglich, da die Pulvermenge bei Raumtemperatur auf den Maximalgasdruck ausgelegt werden kann und nicht wie bei konventioneller Munition die Festlegung der Pulvermenge auf den bei 63 °C erreichten Maximalgasdruck erfolgen muss.
Kunststoffgebundene Treibladungspulver
Alle heute eingeführten Treibladungspulver basieren auf dem im Jahr 1846 entdeckten Bindemittel Nitrocellulose, welches über einen mehrstufigen Prozess aus Cellulose hergestellt wird. Natürlich vorkommende Rohprodukte wie die Cellulose haben jedoch je nach den klimatischen Bedingungen am Anbauort schwankende Eigenschaften. Synthetische Binder haben den Vorteil, dass sie im Gegensatz dazu ein gleichbleibendes Eigenschaftsspektrum besitzen. Ein vielversprechender Ansatz für neue leistungsfähige Treibladungspulver mit geringer Empfindlichkeit ist die Verwendung von thermoplastischen Elastomeren (TPE) als Binder. Diese Materialien bestehen aus einer thermoplastischen Hartphase und einer elastomeren Weichphase. Durch die Kombination von Hart- und Weichsegmenten in der Matrix besitzen diese Polymere besondere Eigenschaften. Bei Belastung können sie einer Kraft durch Verformung ausweichen und sich dann wieder in die alte Form entspannen.
Das Fraunhofer ICT deckt die komplette Bandbreite der Entwicklung einer neuen Generation von kunststoffbasierten Treibladungspulvern ab. Dazu gehören die Synthese von geeigneten thermoplastischen Elastomeren mit energetischen Gruppen, die Kombination mit verschiedenen Weichmachersystemen, die Formulierung mit energetischen Füllstoffen, die Pulverherstellung und die anschließende Charakterisierung. Die Energiedichte der neuen kunststoffbasierten Pulverformulierungen kann über den Gehalt der energetischen Komponenten gesteuert werden, so dass mit diesen Materialien ein großer Kaliberbereich abgedeckt werden kann. Zudem zeigen die neuen Treibladungen im Vergleich zu konventionellen Pulvern gleicher Leistung eine um etwa 600 K reduzierte Flammentemperatur. Damit ist eine deutlich geringere Erosion des Waffenrohrs zu erwarten. Die Entzündungstemperaturen liegen im Bereich um 200 °C und damit deutlich oberhalb derer von konventionellen Pulvern. Die ETPE-Treibladungspulver zeigen überdies eine sehr gute Langzeitstabilität. Die bisherigen Arbeiten am Fraunhofer ICT belegen das Potenzial der neuen Treibladungspulvergeneration auf Basis energetischer thermoplastischer Elastomere. Die zukünftigen Arbeiten konzentrieren sich darauf, ETPE-Treibladungspulver bis zur Anwendungsreife weiterzuentwickeln.
Poröse Treibladungen
Mit Explosivstoffen gefüllte Polymerschäume zeigen wegen ihrer porösen Struktur sehr hohe Abbrandgeschwindigkeiten. Durch Variation von Polymermatrix, Füll- und Zusatzstoffen lassen sich poröse Formkörper mit breitgefächerten Materialeigenschaften und Leistungsdaten herstellen. Durch die Verarbeitungstechnologie des Reaktionsschaumgussverfahrens können beliebige Geometrien realisiert werden. Anwendung finden diese explosivstoffgefüllten Schäume bei der Entwicklung von hülsenloser Munition bzw. Munition mit verbrennbarer Hülse, aber auch als Containermaterialien oder Schutzladungen. Im Fraunhofer ICT wurde eine Reaktionsschaumgussanlage im Pilotmaßstab aufgebaut und für die Verarbeitung von Explosivstoffen ausgelegt. Hier können poröse mit Explosivstoff gefüllte Formkörper in guter Qualität und mit hoher Reproduzierbarkeit hergestellt werden.
Neue Methoden zur Oberflächenbehandlung von Treibladungspulvern
Gerade im Klein- und Mittelkaliberbereich werden Treibladungspulver zur Steuerung ihres Abbrandverhaltens oberflächenbehandelt. Dabei kommen hauptsächlich inerte und energetische Weichmacher und Polymere zum Einsatz. Die konventionellen Verfahren sind zum einen zeitaufwändig oder es lassen sich nur relativ dicke Oberflächenschichten realisieren. Das Fraunhofer ICT untersucht in diesem Bereich neue Methoden zur gezielten Oberflächenbehandlung von Treibladungspulvern.
Das Wirbelschichtcoating eröffnet die Möglichkeit Schichten definierter Zusammensetzung und Dicken auf das Treibladungskorn aufzubringen. Zudem können auch verschiedene Schichten nacheinander sukzessive in einem Prozess aufgebracht werden. Polymerschichten haben den Vorteil dass sie migrationsstabil sind und selbst bei Alterung nicht in das Treibladungskorn hineinwandern und damit das Abbrandverhalten verändern.
Druckimprägnieren von Treibladungspulvern
Mit dem Druckimprägnieren besteht die Möglichkeit inerte und energetische Weichmacher mit einer definierten Eindringtiefe in das TLP-Korn eindringen zu lassen, um spezielle innenballistische Effekte zu erreichen. Für diese Untersuchungen steht ein Autoklav zu Verfügung, der eine gleichförmige Druckbeaufschlagung des Materials ermöglicht. Je nach TLP-Korn, ausgewähltem Weichmacher, den Behandlungsbedingungen und -dauer kann die Eindringtiefe variiert werden.
Mikrostrukturuntersuchungen im Temperaturband
Die Lichtmikroskopie eröffnet die Möglichkeit die Mikromorphologie von Treibladungspulvern oder entsprechender Rohstoffe näher zu betrachten. Zu diesem Zweck stehen ein vollautomatisches Rotationsmikrotom zum Anfertigen der benötigten Dünnschnitte sowie ein Polarisationsmikroskop für Auf- und Durchlichtbetrachtungen im Hell- und Dunkelfeld zur Verfügung. Die integrierte Digitalkamera liefert hochaufgelöste Bilder und Videos. Eine Kühl- und Heizkammer ermöglicht Untersuchungen bei Temperaturen zwischen –196 und 420 °C, wodurch der gesamte, für den späteren Einsatz relevante, Temperaturbereich näher betrachtet werden kann. Zusatzfunktionen wie eine erweiterte Tiefenschärfe ermöglichen die Untersuchung selbst unebener Proben.
Leistungen
Wir entwickeln maßgeschneiderte Treibladungspulver und poröse Treibladungen für Ihre Anwendungen und erarbeiten geeignete maschinelle Herstellungsbedingungen. Sie profitieren von unseren langjährigen Erfahrungen bei der Formulierung, dem fundierten Know-how bei der Verarbeitung, der Verfügbarkeit von neuen energetischen Materialien und einer umfassenden, auf die speziellen Bedürfnisse der TLPs angepassten Charakterisierung und Qualitätssicherung. Zu nennen sind hier die Bestimmung der Leistungsdaten, Sauerstoffbilanz und Verbrennungstemperatur aus thermodynamischen Berechnungen, Beurteilung der Verarbeitbarkeit über rheologische Methoden, Anpassung von Topfzeit und Aushärtungszyklen, Charakterisierung der Treibladungen über die Bestimmung des WEB und der Poren- und Schaumstruktur, Charakterisierung der mechanischen Festigkeit, Beurteilung der Kaltversprödungsneigung, Bestimmung der chemischen und thermischen Stabilität, Untersuchung des Abbrandverhaltens im Temperaturband, Bestimmung der Empfindlichkeit und Untersuchung der gesamten Materialeigenschaften nach definierter Alterung der Treibladungen.