Jahresbilanzpressekonferenz des Fraunhofer ICT
Die Zukunftsthemen der Industrie fest im Blick: Das Fraunhofer ICT erweitert seine Forschungsinhalte
Die Fraunhofer Projektgruppe »Neue Antriebssysteme« nimmt in Karlsruhe die Geschäfte auf / Biomasse statt Erdöl: Fraunhofer ICT betreibet große Forschungsanlage in Leuna / Internationale Fraunhofer ICT Jahrestagung in Karlsruhe
Die Zukunftsthemen fest im Blick
(Pfinztal) Das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie gestaltet mit Nachdruck Kooperationen in der TechnologieRegion Karlsruhe. Unsere Anbindung an das Karlsruher Institut für Technologie KIT durch die beiden Lehrstühle »Polymertechnik« und »Leichtbausysteme« schafft eine enge Verzahnung in Forschung und Lehre. Durch unser Innovationscluster »KITe hy LITe – Innovative Technologien für den hybriden Leichtbau« und unsere aktive Rolle im EnergieForum Karlsruhe sowie im Automotive Engineering Netzwerk Südwest erreichen wir den Brückenschlag unserer Forschungs- und Entwicklungsthemen zu den lokalen Industriepartnern. Ab dem 18. Juni 2010 wird ein weiteres Zukunftsthema in Karlsruhe installiert: Gemeinsam mit dem Fraunhofer IWM und in enger Verbindung mit dem KIT nimmt die Fraunhofer Projektgruppe »Neue Antriebssysteme« ihre Geschäfte auf (siehe separater Abschnitt in dieser Presseinformation).
Es lassen sich jedoch nicht alle unsere Themen in Baden-Württemberg realisieren: Am Raffineriestandort Leuna entsteht ein Chemisch-Biotechnologisches Prozesszentrum (CBP), welches vom ICT gemeinsam mit dem Fraunhofer IGB aufgebaut und betrieben wird (siehe separater Abschnitt in dieser Presseinformation).
Ebenfalls zu einer Standorterweiterung führt unsere Projektgruppe »Funktionsintegrierter Leichtbau« auf dem Campus der Universität Augsburg. Der Spatenstich für den Neubau in Augsburg erfolgte bereits im September 2009. In Zusammenarbeit mit der Universität Augsburg befasst sich die Projektgruppe schwerpunktmäßig mit der Entwicklung von Serienbauteilen auf Basis von Hochleistungsfaserverbundwerkstoffen, vorwiegend für den Fahrzeug- und Maschinenbau.
Das Arbeitsgebiet der Leichtbauwerkstoffe, insbesondere der Faserverbunde, haben wir auch in Berghausen weiter intensiviert. In Zusammenarbeit mit unserem langjährigen Kooperationspartner Fa. Dieffenbacher aus Eppingen, werden wir ab Herbst 2010 die Technikumsanlage zur Herstellung von Bauteilen aus faserverstärkten Kunststoffen im Direktverfahren betreiben. Die Anlage mit einer Presskraft von 3600 t und einem Durchsatz von bis zu 600 kg/h wurde von Eppingen nach Berghausen verlegt. Die strategische Ausrichtung der Kooperation mit der Fa. Dieffenbacher auf diesem Arbeitsgebiet erweitert unser Forschungsportfolio und schafft neue Arbeitsplätze am Standort Berghausen.
Ebenfalls viel versprechend ist das Thema »Neue Energiespeicher«: Redox-Flow-Batterien werden in den kommenden 2 Jahren durch die Unterstützung des Landes Baden-Württemberg als zukunftsträchtige Alternative zu herkömmlichen Blei-Akkus entwickelt. Die Redox-Flow-Batterien haben heute eine vergleichbare Energiedichte, jedoch ist ihre Lebensdauer fast zehnmal höher als die der Blei-Akkus. In Zukunft werden verstärkt skalierbare Stromspeicher im Leistungsbereich von 100 kW bis maximal 5 MW benötigt, um durch dezentrale, netzintegrierte Stromspeicher die Netzkapazitäten besser auszunutzen und Engpässe zu vermeiden. Der Wirkungsgrad dieser Batterien liegt derzeit bei bis zu 80 Prozent.
Trotz des schwierigen Umfelds: 2009 war für uns ein wirtschaftlich erfolgreiches Jahr
2009 erwirtschaftete das Fraunhofer ICT einen Gesamterlös von knapp 29 Mio. €. Wir konnten somit trotz des wirtschaftlich schwierigen Umfelds unseren Mitarbeiterstamm ausweiten. Derzeit arbeiten am ICT rund 470 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, etwa 30 mehr als vor Jahresfrist. Unsere Industrieerträge sind im Vergleich zum Vorjahr um etwa 7 Prozent gesunken. Der Rückgang der Industrieerträge ist bei uns im Vergleich zu den gesamten Zahlen der Fraunhofer Gesellschaft geringer ausgefallen. Aufgrund der Konjunkturprogramme der Bundesregierung konnten wir jedoch bei den Projekten der öffentlichen Hand mehr Mittel einwerben als im Vorjahr.
Die Prognose für das Jahr 2010 ist stabil, aufgrund der bereits eingeworbenen Mittel und den in Akquisition befindlichen Projekten gehen wir von einem leichten Anstieg unseres Erlöses im Vergleich zu 2009 aus.
Die Fraunhofer Projektgruppe »Neue Antriebssysteme« nimmt in Karlsruhe die Geschäfte auf
Am 18. Juni 2010 übergab Ministerpräsident Stefan Mappus den Zuwendungsbescheid für die Fraunhofer Projektgruppe »Neue Antriebssysteme«.
Mit dem Schwerpunkt »energieeffiziente Verbrennungsmotoren« entsteht zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM die gemeinsame Projektgruppe »Neue Antriebssysteme«, die später in ein eigenes Fraunhofer Institut überführt werden soll. Somit setzt das ICT beim Thema »Automobil der Zukunft« nicht nur auf Elektromobilität, die sicher langfristig sehr gute Erfolgsaussichten hat, sondern auch auf alternative Ansätze, die kurz- und mittelfristig noch ein größeres Potential der Einsparung von Ressourcen und der Verminderung des CO2-Ausstoßes besitzen. Die aktuellen Verbrennungsmotoren weisen diesbezüglich ein hohes Optimierungspotential aus. Die Kombination aus einem auf extrem sparsamen Verbrauch »getrimmten« Verbrennungsmotor zur Deckung der »Grundlast« (konstantes Fahren bei niedriger Drehzahl) und einem Elektromotor als Zusatzaggregat zum Beispiel für erhöhte Beschleunigung stellt eine gute Variante für einen Großserieneinstieg in die Elektromobilität dar. Die neue Fraunhofer-Projektgruppe wird von Dr. Hans-Peter Kollmeier geleitet und soll sich in ca. 10 Jahren zu einem selbstständigen Fraunhofer-Institut entwickeln.
Biomasse statt Erdöl
Weltweit arbeiten Chemieunternehmen daran, den Rohstoff Erdöl durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen. Neue Verfahren sollen dabei ohne Lebens- und Futtermittel auskommen.
Zur Entwicklung von alternativen Nutzungskonzepten für Biomasse in Bioraffinerien wurde in Leuna ein Chemisch-Biotechnologisches Prozesszentrum CBP genehmigt, welches durch das Fraunhofer ICT initiiert seit Frühjahr 2010 vom Fraunhofer ICT gemeinsam mit dem Fraunhofer IGB aufgebaut und anschließend gemeinsam betrieben wird. Das Land Sachsen-Anhalt, die InfraLeuna GmbH, der Bund und die Fraunhofer-Gesellschaft investieren über 45 Mio. Euro in den Aufbau des Zentrums.
Stroh, Holz, Mikroalgen und viele weitere nachwachsende Rohstoffe können Erdöl ersetzen. Der Schwerpunkt des CBP ist es, biologische Rohstoffe zu verarbeiten und nach Bedarf Öle, Fette, Cellulose, stärke- oder zuckerhaltige Rohstoffe, als Ausgangsstoffe für Produkte zu gewinnen. Die chemischen Technologien für das CBP kommen aus Pfinztal. Das Zentrum in Leuna wird es Unternehmen ermöglichen, chemisch-biotechnologische Verfahren vom Labor in die Serienproduktion zu bringen. Die neue Plattform bietet vor allem kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit, regenerative Ressourcen zu erschließen.
Die erste geplante Großanlage soll rd. 1,3 Tonnen frische Holzhackschnitzel pro Woche kontinuierlich verarbeiten und in seine Bestandteile fraktionieren. Das Fraunhofer ICT entwickelte das kontinuierliche Verfahren zur Extraktion von Cellulose, Hemicellulosen und Lignin aus Laubholz. Daraus werden chemische Zwischenprodukte und Werkstoffe erzeugt. Wie das ganze funktioniert, wird nach der Pressekonferenz an der in Betrieb befindlichen Technikumsanlage vorgeführt.
»Energetische Materialien für hohe Leistung, geringe Empfindlichkeit und gute Umweltverträglichkeit« lautet das Motto der 41. Internationalen ICT-Jahrestagung
Wozu brauchen wir neue Raketentreibstoffe, Rohrwaffentreibmittel, Sprengstoffe und Pyrotechnika? Sind nicht schon alle Anwendungen mit den existierenden Formulierungen und bestehenden Komponenten abgedeckt?
Keineswegs! Eigenschaften wie hohe Leistung in Verbindung mit Insensitivität und Signaturarmut (unter anderem rauchfreier Abbrand), dazu mit geringer Umweltbelastung sind bisher nicht oder lediglich in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zu finden. Die Synthese neuer energetischer, zum Beispiel stickstoffreicher Komponenten, chlorfreie Sauerstoffträger und neue energetische Binder öffnet Türen zur Formulierung leistungsgesteigerter, stabilerer, wenig empfindlicher Treib- und Explosivstoffe und umweltfreundlicher Pyrotechnika.
Wenig empfindlich, das heißt sicherer in der Herstellung und im Umgang, kostengünstiger bei der Lagerung und beim Transport, milder und weniger gefährdend in einer ungewollten Reaktion, zum Beispiel für unsere Soldatinnen und Soldaten, wenn sie, wie in Afghanistan geschehen, aus dem Hinterhalt heraus mit Schusswaffen, Panzerfäusten oder Brandbomben attackiert werden. Chemisch stabiler, das heißt auch sicherer im Umgang, einsetzbar in heißen Klimazonen, längere Lebensdauer, längere Einsatzbereitschaft und geringere Kosten. Umweltfreundliche Formulierungen vermeiden gefährliche Giftstoffe wie zum Beispiel Salzsäurenebel, die derzeit beim Abschuss einer Rakete mit herkömmlichen Composittreibstoffen entstehen.
All das ist Motivation genug, an der Forschung und Entwicklung neuer energetischer Materialien nicht zu sparen und erfolgreiche Entwicklungen systematisch umzusetzen. Beispiele für solche Entwicklungen des ICT sind umweltfreundliche, wenig empfindliche vergelte Nitromethantreibstoffe für Raketenantriebe mit kontrollierbarem Schub und multipler Einsatzfähigkeit. Beispiele sind auch die Erfolge des ICT in der Entwicklung leistungsstarker Festtreibstoffe mit Nitramiden als Sauerstoffträger, die keine Salzsäurenebel mehr erzeugen und obendrein eine viel bessere Tarnung ermöglichen als die konventionellen Perchlorat-haltigen Composittreibstoffe. In der Erprobung und an der Schwelle zur Umsetzung befinden sich Treibladungspulver des ICT, die bei -40 °C ebenso wie bei + 20 °C und + 50 °C angenähert den gleichen Gasdruck und gleiche Mündungsgeschwindigkeit liefern, damit eine deutlich höhere Leistung der Rohrwaffe ermöglichen und zudem noch thermisch stabiler und weniger empfindlich sind als die auf Nitroglyzerin aufgebauten Altvarianten. Viele weitere Beiträge werden auf der 41. Internationalen Tagung vom 30. Juni bis 2. Juli 2010 in der Stadthalle Karlsruhe vorgestellt und diskutiert. Etwa 250 Experten aus mehr als 20 Nationen werden in Karlsruhe zur Tagung erwartet.